EU-UmfrageMehrheit will anonyme Internetnutzung, Deutschland kein Vorreiter

In vielen EU-Ländern gibt es eine Mehrheit für ein Recht auf anonyme Nutzung des Internets. Die Umfrage gibt einer entsprechenden Forderung aus dem EU-Parlament Aufwind. Eine Überraschung ist, wie Deutschland im Vergleich abschneidet.

Ein Braun-weißer Hund mit blauen Augen sitzt an einem Tisch mit Computerbildschirm, vor sich eine Kaffeertasse
„Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist“ – viele Europäer:innen wollen, dass das so bleibt. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Pavel Herceg

Eine deutliche Mehrheit der Menschen in neun großen europäischen Ländern spricht sich für ein Recht auf anonyme Internetnutzung aus. Zu diesem Ergebnis kommt eine statistisch repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens YouGov [PDF].

Insgesamt antworteten 64 Prozent der mehr als 10.000 Befragten, dass Internetnutzer:innen digitale Dienste anonym nutzen können sollten. Anonym bedeutet in diesem Fall laut Frage „ohne Sammlung Ihrer personenbezogenen Daten“. 21 Prozent sprachen sich gegen dieses Recht auf anonyme Internetnutzung aus, 14 Prozent antworteten „weiß nicht“.

Patrick Breyer, Europa-Abgeordneter der Piratenpartei, hatte die Umfrage im Kontext der anstehenden Parlamentsabstimmung über den Digital Services Act in Auftrag gegeben. Mit der Verordnung will die EU ihre Internetregulierung modernisieren und insbesondere die Macht großer Plattformen besser demokratisch einhegen.

In der nächsten Woche soll das EU-Parlament über seine Position zu dem Mammutvorhaben abstimmen. Es ist unklar, ob sich dabei ein Recht auf anonyme Internetnutzung durchsetzt. Anders als der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, in dem Breyer für das Thema zuständig ist, plant der federführende Binnenmarkt-Ausschuss kein Recht auf die anonyme Nutzung von Internetdiensten.

„EU-Parlament sollte Bürgerwunsch umsetzen“

YouGov hat die Befragung zwischen dem 24. und 28. Dezember 2021 durchgeführt. Das Unternehmen hat dafür 10.064 Menschen über 18 Jahren in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Österreich, Schweden, Spanien und Tschechien befragt.

Interessant sind die Unterschiede in den Zustimmungsraten der einzelnen Länder. Während Deutschland häufig als das Land in Europa beschrieben wird, in dem die Menschen besonders datenschutzaffin sind und überzogene Ängste vor Überwachung haben, landet die Bundesrepublik hier nur auf dem vorletzten Platz. Lediglich 59 Prozent der mehr als 2.600 Befragten Deutschen sind für das Recht auf anonyme Internetnutzung, 25 Prozent sind dagegen. Nur in Schweden sprechen sich mit 53 Prozent noch weniger Menschen dafür aus, 27 Prozent der Befragten Schwed:innen sind dagegen.

Privacy-Spitzenreiter ist bei dieser Umfrage Spanien: 73 Prozent der Befragten votierten für die anonyme Internetnutzung, nur 17 Prozent dagegen. Ähnlich ist das Bild in Tschechien, wo sich 69 Prozent dafür aussprachen und nur 15 Prozent explizit dagegen.

Unabhängig von regionalen Unterschieden wertet Breyer, der sich als einziger deutscher EU-Abgeordneter der Piratenpartei der Fraktion der Grünen angeschlossen hat, die Ergebnisse der Umfrage als Rückenwind für seine Forderung nach einem Recht auf Anonymität im Netz.

„Auf die ständigen Datenskandale und Datenkriminalität im Netz muss das Europäische Parlament eine Antwort geben und die Bürger:innen besser schützen“, so Breyer. „Nur gar nicht erst gesammelte Daten sind sichere Daten.“ Dies habe zuletzt das Leak unnötig gesammelter Handynummern von 500 Millionen Facebooknutzer:innen gezeigt. Ein Recht auf Anonymität schütze verletzliche Personengruppen vor Diskriminierung. Deshalb solle das EU-Parlament nächste Woche die Chance nutzen, „den Bürgerwunsch nach einem besseren Schutz ihrer digitalen Privatsphäre zu erfüllen.“

6 Ergänzungen

  1. „Eine deutliche Mehrheit der Menschen in neun großen europäischen Ländern spricht sich für ein Recht auf anonyme Internetnutzung aus“

    Sorry, dass ich ein bisschen meckern muss, aber das ist so nicht ganz richtig. Im verlinkten PDF ist die Rede von „digital services“ – also nicht Internet an sich. Gefragt wurde in etwa „Sollten Internetnutzer das Recht haben digitale Dienste anonym zu nutzen?“.

    1. Ja, Verwendung digitaler Dienste und Internetnutzung sind nicht exakt das gleiche, aber es läuft doch auf das gleiche hinaus. Vielleicht übersehe ich auch etwas, könntest du mir ein konkretes Beispiel nennen, wo die Gleichsetzung problematisch wäre?

      1. Für mich ist das eine Frage der Prinzipien:
        Das Internet nicht anonym nutzen zu dürfen ist wie das eigene Haus nicht ohne Ausweis-Konrtolle verlassen zu dürfen.
        Digitale Dienste nicht anonym nutzen zu dürfen ist wie eine Ausweis-Kontrolle am Einlass von Fussball-Stadion, Kino, Restaurant, etc.

        Warum soll ich mich schon beim online gehen identifizieren, wenn ich mich nur mit einem *privaten* Minecraft-Server von Freunden verbinde? Geht doch niemanden was an.
        Genau so wie ich nicht beim losgehen an der Haustüre nach dem Ausweis gefragt werden möchte, wenn ich nur einen Freund bei sich zu Hause besuchen gehe.
        Das Internet kann nämlich durchaus noch privat genutzt werden, so wie es am Anfang (Ende der 80er/Anfang der 90er) üblich war: man verbindet sich mit Freunden und chattet oder spielt. So wie man sich im anaolgen Leben trifft, redet und Karten spielt. Und das alles privat, ohne Konzerne wie Google, Facebook, Apple, etc.

  2. Ich bezweifle das Nutzer dies beantwortet haben

    „ Lediglich 59 Prozent der mehr als 2.600 Befragten Deutschen sind für das Recht auf anonyme Internetnutzung“

    Das waren safe deutsche Unternehmen

  3. Wen interressieren schon Mehrheiten? Die Mehrheit will auch keine Aufrüstung oder Beteiligung der Bundeswehr an US-Angriffskriegen.

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